"An Biertischen gestartet" – Prof. Karl-Heinz Dröge im Interview
Der studierte Elektrotechniker Prof. Karl-Heinz Dröge war seit Gründung der DHBW Lörrach 1981 dort tätig., u.a. als Prorektor und Dekan der dortigen Fakultät Technik. 1987 initiierte er die trinationalen Studiengänge dort wesentlich mit. Im Rahmen des Aufbaus dualer Studiengänge an anderen Hochschulen im Auftrag des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit arbeitete er vielfach im Ausland. Im Interview berichtet er anlässlich 50 Jahren dualen Studiums von dieser Zeit.
Wie war ihr Weg an die DHBW?
Ich war wahrscheinlich ein Exot, zumindest etwas. Ich war viele Jahre in einem privaten Forschungsinstitut und habe Projekte der Raumfahrt und der Robotik geleitet, war für die Bundesregierung immer wieder im Ausland, wie Tunesien, Südafrika, oder Palästina und habe dort Bildungsprojekte realisiert, zum Beispiel mit einem internationalen Team in Ostafrika den Aufbau einer Ingenieursfakultät.
An die DHBW bin ich rein zufällig gekommen. Ich habe in Lörrach einen Bekannten getroffen, als ich von einem internationalen Aufenthalt zurückkam. Der sagte „Schau, da gibt es eine neue Schule in Lörrach, die suchen noch Leute.“ Diese Schule bestand aus zwei Personen und einer Sekretärin, ich wurde dann die dritte. So wurde 1981 die Berufsakademie Lörrach mit 50 Studierenden in drei Studienrichtungen begonnen, in einer ehemaligen Kneipe an Biertischen. Ich war durch meine Aufenthalte im Ausland Improvisation gewohnt und dachte „Ich kann das ja mal machen, wenn es mir nicht gefällt, gehe ich wieder,“ und übernahm direkt die Elektrotechnik und den Maschinenbau als Studiengangsleiter.
Die Institution Berufsakademie und deren Abschlüsse waren zu diesem Zeitpunkt eigentlich von keinem außer dem Ministerium anerkannt, weder von anderen Bundesländern noch von anderen Hochschulen und schon gar nicht im Ausland. Im Prinzip muss man sogar sagen, wir waren eigentlich eine Behörde und die anderen haben uns auch als eine dem Ministerium untergeordnete Behörde gesehen.
Es war eine tolle Aufbauarbeit, nicht nur vor Ort in Lörrach, sondern auch in den landesweiten Gremien. Und es war ganz klar: Unser Ziel musste es sein, die Anerkennung als Hochschule zu erhalten. Das geht nur, wenn man Qualität liefert. Die Kooperation mit den Unternehmen war uns eine große Hilfe, der ganz entscheidende Vorteil in diesem Modell. Das hat uns manchmal getrieben, hat uns aber auch agil und flexibel gemacht. Ich bin deshalb ein heißer Verfechter dieses Modells geworden und war auch Im In- und Ausland in der Akkreditierung von dualen Studiengängen engagiert.
Mit welchen Erwartungen oder auch Befürchtungen sind Sie an die damals ja noch junge DHBW gekommen?
Mir war nicht klar, was das für ein Modell ist. Ich kam ja gerade aus einem internationalen Projekt, an dem wir mit vielen Professoren von Fachhochschulen und Universitäten eine traditionelle Hochschule aufgebaut hatten. So dachte ich „Wenn es so ähnlich ist wie eine Fachhochschule, dann mach ich es, da passe ich hinein.“
Es war mir aber sehr früh klar, dass wir standardisieren und eine Akkreditierung hinbekommen müssen. Durch meine Auslandstätigkeiten wusste ich auch, wie so was läuft und habe das dann landesweit in die Gremien einbringen können.
In Lörrach war uns stets bewusst, dass wir aus der regionalen Grenzlage heraus die Internationalität vorantreiben müssen, weil viele interessante Betriebe in den drei Ländern liegen, die Abschlüsse der Berufsakademie aber leider weder in der Schweiz noch Frankreich anerkannt waren.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach das duale Studium seit Ihrem ersten Tag entwickelt?
Ich kann es, glaube ich, besonders gut einschätzen, weil ich mit vielen internationalen Hochschulprojekten unterwegs war. Die Nachfrage nach dem dualen Studienmodell à la Baden-Württemberg ist international relativ hoch. Was sich wahnsinnig bewährt hat, ist, dass wir trotz insgesamt über 30.000 Studierenden immer noch in Kleingruppen unterrichten, dass es hier keine Anfangssemester mit 300-400 Studierenden gibt. Das hat einen entscheidenden weiteren Vorteil: Unsere Studierenden haben direkten Kontakt zu den Dozenten. Gerade in den großen Studiengängen anderer Hochschulen wie Maschinenbau, BWL oder Elektrotechnik, sitzen oft hunderte Studierende im Hörsaal, die Studierenden haben allenfalls Kontakt zu einem Assistenten.
Das zweite Merkmal des dualen Studiums ist auch unschlagbar und begeistert mich immer mehr: Wir reagieren schnell auf Veränderungen des Marktes. Wir bekommen eins zu eins über die Firmen, die nebenberuflichen Dozenten aus der Praxis oder auch unsere Studierenden sehr schnell gemeldet, wenn Inhalte und Methoden überholt sind oder neue fehlen. Ob das Fertigungstechniken in der Automobilindustrie sind, die sich ändern, oder neue Technologien und Methoden, die in der Logistik genutzt werden. Man kann Vorlesungen nicht einfach 15 Jahre lang unverändert halten.
Andere Hochschulen haben natürlich auch andere Vorteile, das darf man nicht verhehlen. Sie sind viel stärker im Bereich Forschung aufgestellt. Da muss die DHBW sicherlich noch nacharbeiten, tut sie ja auch schon. Wir müssen vielleicht auch als Hochschule noch mehr veröffentlichen und mehr Freiräume dafür bekommen.
Die DHBW ist eine Art Hochschule, die nicht andere Hochschulen ersetzt, sondern ergänzt und danebensteht. Sie vermeidet es, dass man erst am Ende des Studiums und mit der ersten Anstellung begreift – so erging es mir - was man da tatsächlich studiert hat. Die Verzahnung von Theorie und Praxis ist hier von Vorteil. Sie kann auch Interessierte und Begabte erreichen, die sich aus finanziellen Gründen kein Studium leisten können. Die Unternehmen beschäftigen und zahlen so an die Studierenden viele hundert Millionen Euro pro Jahr.
Dieses Modell ist zudem ein sehr effizientes Modell; es kostet der Volkswirtschaft deutlich weniger im Vergleich zu anderen Hochschulen. Schon durch die Vorauswahl der Firmen wird weitgehend verhindert, dass jemand etwas studiert, ohne Chancen auf einen Abschluss. Insofern ist das auch ein zielgerichtetes Studium. Wenn es noch nicht erfunden wäre, müsste man es erfinden.
Wie entstand die Idee der trinationalen Studiengänge an der DHBW Lörrach und welche Herausforderungen gab es bei der Umsetzung?
Lörrach liegt an den Grenzen zu Frankreich und zur Schweiz. Das grenzüberschreitende Zusammenleben in Arbeit, Freizeit und Kaufverhalten ist sehr stark. Viele Jahre gab es den Wunsch aus der Politik und von Unternehmen, eine trinationale Hochschule zu errichten. Es gab dann ohne Beteiligung der Hochschulen jahrelange Diskussionen, wer das Ganze bezahlt und wo der Standort sein sollte, ausreichend Geld hatte aber keiner dafür.
Und vor allen Dingen: In welchem Land soll das Ganze liegen? Bei einer erneuten Initiative haben wir, die Rektoren der Université de Haute-Alsace in Mulhouse, der Fachhochschule Nordwestschweiz und der damaligen BA Lörrach, uns beteiligt und und haben uns zu dritt in Frankreich getroffen. Der französische Kollege formulierte es treffend: „Wir haben auch kein Geld, aber wir haben bestehende Strukturen, Räume, Personal und Kontakte. Wir brauchen keine Gebäude mit Mauern. Mit dem ‘esprit trinational’ reißen wir die Mauern in den Köpfen ein.“ Das wurde weiter vertieft. Wir in Lörrach übernahmen die Projektleitung und überzeugten dann gemeinsam die kritischen Stimmen in den Ministerien in Paris, Stuttgart und den Kantonen. Von der EU gelang es mir erhebliche Fördergelder einzutreiben.
Wir machten dann einen „Wanderzirkus“, in einer gemeinsamen Gruppe (Dozierende und Studierenden aus den drei Ländern) wird im semesterweisen Wechsel an einer der Hochschulen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich unterrichtet. Es gelang uns in Ingenieurstudiengängen und der BWL trotz unterschiedlicher Strukturen wie Universität, Fachhochschule, DHBW alle bürokratischen und sprachlichen Hürden zu überwinden.
Mittlerweile haben wir rund 400 Studierende in diesen Studiengängen, denen am Ende die Abschlüsse aller drei Hochschulen verliehen wird. Das ist damit auch der größte deutsch-französische Studiengang der deutsch französischen Hochschule. So wurde aus dem Nachteil der Grenzlage Lörrach ein Vorteil geschaffen.
Wie hat sich die Internationalisierung an der DHBW entwickelt?
Das duale System wird oft von Politikern aus dem Ausland als Modell angefordert. Meine Einsätze in vielen Ländern kamen oft nach Regierungsabkommen zustande, häufig war ich für die GIZ, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit der Bundesregierung, im Ausland aktiv.
Aber jeder Standort hat natürlich im Laufe der Zeit viele Verbindungen entwickelt, damit Studierende und Lehrende sich international vernetzen. Das ist, glaube ich, ein ganz wesentliches Element, nicht unbedingt, um missionarisch unser Modell zu verbreiten, sondern um den Horizont der Studierenden und Lehrenden in einem internationalen Aufenthalt zu verbreitern.
Viele Firmen machen das von sich aus, besonders Firmen, die auch international tätig sind, sie haben es dabei leichter. Aber an der DHBW sind die Mehrzahl der Studierenden in kleineren oder mittelständischen Betrieben, die nicht unbedingt mit eigenen Niederlassungen so intensiv international vernetzt sind. Da ist es wichtig, dass die Standorte die Internationalisierung vorantreiben. Dazu gehört auch, dass wir danach streben, Lehrende aus dem Ausland an unseren Hochschulen zu bekommen. Die internationale Anerkennung ist wichtig, auch der Vergleich und die Erfahrungen mit anderen Hochschulen. Ich bin sicher, die Kollegen, die in der Verantwortung sind, wissen das auch und handeln in diese Richtung.
Welche Ratschläge würden Sie heutigen Studierenden und Lehrenden der DHBW geben?
Die Strukturen beizubehalten und mit den Unternehmenspartnern weiterzuentwickeln. Dabei gilt es stets, die Qualität zu überwachen und auch einzuhalten.
Die DHBW ist ein Dienstleister und hat zwei Gruppen von Kunden: Firmen und Studierende. Diese sollen sich für dieses Modell entscheiden, dafür müssen wir ihnen versprechen, dass die Absolventen die Fähigkeiten, die in den Lehrplänen gefordert werden, auch erlangen. Da müssen wir sehr kritisch immer wieder drauf schauen, damit wir diese Qualität auch einhalten.
Aber wir haben gute Voraussetzungen, weil wir eben kleine Gruppen haben, weil wir die Studierenden beobachten, weil wir intensiven Kontakt zu den Firmen haben. So können wir durch das Feedback sehr schnell nachjustieren.
Welche Vision haben Sie für die DHBW im Jahr 2074, also 100 Jahre nach ihrer Gründung?
Es ist natürlich Spekulation, soweit vorauszuschauen. Aber meine Vorstellung ist, dass die DHBW dank ihrer Struktur und der Kooperation mit den Unternehmen stets flexibel und schnell die notwendigen Anpassungen vornehmen kann. Dazu gehört, dass die Methodik des Lernens sich auch ändert.
Es stellt sich auch die Frage der Medien und des Remote Learnings. Wir haben das bei Corona von einem Tag zum anderen machen müssen. Wir erkennen aber auch jetzt wieder die Vorteile des Präsenzlernens. Ich sage seit Gutenberg, also seit mehr als 500 Jahren, braucht eigentlich niemand zu einer Hochschule zu gehen, denn es gibt Bücher und nun auch noch Online Medien, und alles was an Hochschulen unterrichtet wird, kann man aus Büchern oder dem Internet lernen. Ich glaube aber, damit hätten wir nur eine Komponente des Lernens, die rein technische, inhaltliche abgedeckt. Wir würden so die soziale und die kulturelle Komponente verlieren. Wir haben das während der Pandemie gemerkt, dass die auf der Strecke bleiben mussten. Und deshalb glaube und hoffe ich, dass weiterhin Präsenzunterricht und Projektarbeiten stattfinden werden im menschlichen Miteinander, in Kleingruppen und unmittelbaren Kontakt mit den Lehrenden. Natürlich kann und soll eine Vorlesung auch online stattfinden, das verbessert zum einen die Planbarkeit des Stundenplans und zum anderen muss diese Medienkompetenz natürlich da sein. Absolventen müssen teamfähig sein, das kann man wunderbar in Seminargruppen der DHBW, aber besonders auch in der Arbeit erlernen. Wenn die DHBW diese Elemente beibehalten kann, dann habe ich überhaupt keine Sorge, dass sie auch in 50 Jahren noch immer ein attraktives Angebot hat.
Ansonsten würde ich mir wünschen, die Infrastruktur an den Standorten zu stärken. Damit meine ich einen stärkeren akademischen Mittelbau, denn nur mit diesen Assistenten kann man die Studierenden sehr gut betreuen und auch ansatzweise Forschung betreiben.