"Habt Spaß bitte!" – Helmut Geduldig blickt auf 50 Jahre duales Studium
Mit der Nummer 10002 im Studentenausweis war Helmut Geduldig ab 1974 Teil des ersten Jahrgangs, der die damalige Berufsakademie besuchte. In Mannheim studierte er im Ausbildungsbereich Wirtschaft und arbeitete anschließend bei verschiedenen Versicherungen. Seit 1995 ist er als Lehrbeauftragter an verschiedenen Standorten der DHBW tätig. Im Interview blickt er auf die Anfänge des dualen Studiums zurück.
Wie war Ihr Weg zur DHBW und wie ging es von da an weiter?
Das war damals, 1974, ja noch die Berufsakademie. Ich hatte in Mannheim an der Universität VWL vor mich hin studiert, alle möglichen Jobs gehabt und irgendwann war ich im siebten Semester und meine damalige Freundin, spätere Verlobte und heutige Frau, fragte, wann ich denn eigentlich fertig sei. Ich ließ mir das alles so durch den Kopf gehen und sagte: „Oh oh, wenn ich ehrlich bin, dauert das noch eine ganze Zeit.“ Zu der Zeit wurde dann die Berufsakademie gegründet und es wurden Studenten gesucht. Mich hat das Zusammenwirken zwischen Theorie und Praxis interessiert, zumal das Ganze auch noch bezahlt war. Im Bereich Wirtschaft wurde der Studiengang Versicherung angeboten und so bin ich damals an die BA Mannheim gekommen, die ja gleichzeitig mit Stuttgart begonnen hatte.
Ich wurde dann quasi der erste Absolvent der Berufsakademie überhaupt, denn aus welchen Gründen auch immer wurden die Zeugnisse von hinten nach vorne verteilt, also Versicherungen zuerst. Und da war ich der erste im Alphabet.
Dann bin ich ins Berufsleben gestartet und einigermaßen herumgekommen. Die Ausbildung habe ich damals bei der Mannheimer Leben gemacht, von dort bin ich dann zur Pfälzischen Pensionsanstalt, einem kleinen öffentlichen Versicherer, und habe den richtig gut aufgemischt. Ich wurde dann abgeworben zur Bayern-Versicherung und war lange dort. Irgendwann bin ich zur Deutschen Lloyd Versicherung gewechselt. Bei der späteren Fusion mit Generali kam ein nicht ausschlagbares Angebot, das habe ich natürlich angenommen. In dieser Zeit sind die Auszubildenden bei mir immer wegen Mathematik aufgeschlagen, da hatten viele so ihre Schwierigkeiten mit, aber ich habe das immer sehr gerne gemacht. Ich lernte dann den Professor Kühlmann in Stuttgart kennen und lieben und seit 1995 bin ich Dozent an verschiedenen Standorten der DHBW, nächstes Jahr sind es 30 Jahre.
Wenn die Studenten ihre Vorgänger in den Betrieben fragen, sagen sie ihnen immer, „Geh zum Geduldig, da gibt es Exkursionen!“. Beispielsweise nach Hamburg. Dort sind wir bei Airbus oder im ICE-Instandsetzungswerk, bei Lufthansa, natürlich auch in den Häfen. Oder nach Leipzig, dort gehen wir in einen Braunkohletagebau. Danach schauen wir uns an, wie diese Braunkohle verstromt wird und was mit diesen alten Tagebaulöchern passiert, also die Renaturierung. Am Abend vorher bzw. nachts sind wir bei DHL, also auf einem Frachtflughafen, schauen uns das alles an unter dem Gesichtspunkt der Lieferketten an.
Welche Erwartungen hatten Sie an Ihre Zeit an der DHBW?
Ich wollte ja nicht in die Wissenschaft gehen, nicht den alten akademischen Weg, sondern in die Wirtschaft. Und das ist zu 100 % erfüllt worden, die Verzahnung von Theorie und Praxis war super gut und ich kann es nur jedem empfehlen, der nicht in die Wissenschaft oder in die Forschung gehen will. Wer später in die Wirtschaft, Technik oder den Gesundheitsbereich will, für den ist die DHBW das Nonplusultra.
Wie hat sich das duale Studium seit Ihrer Studienzeit entwickelt?
Wir haben damals die Schienen gelegt. Das gefällt mir sowieso am allerbesten: Trial-and-Error, ins Wasser springen, ein bisschen mitgestalten zu können und nicht alles Mögliche schon vorgegeben zu haben. Wir konnten unsere Änderungsvorschläge einbringen, das wurde aufgenommen. Es gab noch keine großartigen Curricula und keine großartigen Abstimmungen. Wir haben eben einfach gemacht. Wir waren in Mannheim am Kaiserring im Haus der Kölnischen Versicherung im ersten Stock, mit etwa 24 Leuten, mitten in der Stadt. Man kam aus der damaligen Berufsakademie raus und war mitten im Leben, nicht wie heute auf einen Campus.
Ich hatte in der mathematischen Abteilung eine Rechenmaschine, die hatte eine Kurbel an der Seite. Damals gab es ja auch kein Skript, es gab Mitschriften. Wir können das Studium von damals nicht mehr mit heute vergleichen. Natürlich hatten wir vorne jemanden, der uns unterrichtet hat, natürlich hatten wir die Gesetzestexte. Die waren alle gebunden, heute schauen Sie ins Internet. Damals Urteile zu bekommen war fast unmöglich. Heute schauen Sie ins Internet und haben die Urteile und dazu die Begründung.
Heute sind natürlich Strukturen reingekommen, die vorher nicht da waren, es wurde stärker institutionalisiert. Wenn ich heute einen Maschinenbauer habe, der auch gerne mal zwei Stunden Personalwesen hören würde, ist das sehr schwierig. Die DHBW hat da feste Kurse, im Gegensatz zu einer Hochschule oder einer Uni. Da kannst du nicht wechseln und Rosinenpicken. Die Wege sind lang geworden. Auch der Austausch mit den Studenten ist weniger geworden, das Feedback wurde früher mehr eingefordert. Das bekomme ich von den Studenten bei den Exkursionen, das ist extrem wichtig. Es war eine geile Zeit. Ich versuche, den Studenten diese geile Zeit wieder zu geben.
Welche Ratschläge würden Sie heutigen Studierenden und Lehrenden der DHBW geben?
An die Studierenden: Seid interessiert, macht ein bisschen mehr.
Auch wenn die Tage sehr voll sind, acht Stunden ist normal, zehn Stunden keine Seltenheit. Wenn es in die Firma geht, bitte lernt was, fragt. Fragt, warum es so ist und welchen Sinn es hat. Ihr seid zwar effektiv nur eineinhalb Jahre an der Hochschule als solches, aber solange ihr hier zusammen seid, habt Spaß bitte! Das Studium besteht nicht nur daraus, dass ihr da sitzt.
Für die Lehrenden kann ich nur sagen: Bitte geht auf die Studenten ein, unterhaltet euch wieder ein bisschen mehr, reißt nicht nur einfach die Vorlesung ab. Das sind alles Menschen, junge Leute, die noch unsicher sind. Wir Alten können ihnen so viel mitgeben und die Studenten sind dafür dankbar. Auch hier: Macht ein bisschen mehr. Wir wollen und wir können geben.
Ich kann nur jedem empfehlen, auf seine alte Hochschule zuzugehen, spätestens, wenn er pensioniert ist. Wir als Lehrbeauftragte, die wir den Laden kennen, die ganzen Stärken und Schwächen, wir können den jungen Leuten sehr viel vermitteln und den Professoren auch ab und zu mal etwas mitgeben.
Welche Vision haben Sie für die DHBW im Jahr 2074, also 100 Jahre nach ihrer Gründung?
Hoffentlich gibt es sie dann noch. Denn ich finde, dieser Austausch zwischen Theorie und Praxis ist geradezu ideal. Etwas bessere Ausstattung wäre schon wünschenswert, auch wenn ich mir die Technik in 50 Jahren nicht vorstellen kann. Ich hoffe, dass wir bis dahin die Welt nicht ganz kaputt gemacht haben, wir uns um die Schwächeren kümmern, dass Nachhaltigkeit und Diversity selbstverständlich sind, dass auch Menschen mit Handicap an der Hochschule studieren können und alle Räume barrierefrei sind. Außerdem Wertschätzung für die Lehrbeauftragten, von ganzem Herzen.